Opfer der NS-Militärjustiz: Hinrichtungen auf der Dornhalde
Ausstellung in der Geschichtswerkstatt Degerloch, Große Falterstraße 4, 70597 Stgt
Opfer der NS-Militärjustiz: Hinrichtungen auf der Dornhalde
Ausstellung in der Geschichtswerkstatt Degerloch, Große Falterstraße 4, 70597 Stgt
Samstag, 10. Juni 2023, 14:30 Uhr
Start beim Hotel Silber in der Dorotheenstraße 10.
Nicht angefahren wird der Gerichtsort Feuerbacher Heide 40.
Leitung der Radtour: Dr. Christine Lehmann
Informationen an den Haltepunkten: Dr. Bertram Maurer.
Beim Landgericht in der Urbanstraße 20 wird Dr. Sabrina Müller vom Haus der Geschichte über die Gedenkstelen vor dem Haus und die Ausstellung im Gerichtsgebäude informieren.
Bitte anmelden unter veranstaltungen-hs@hdgbw.de.Ewald Huth |
Ewald Huth wurde am 11. Januar 1890 in Hersfeld geboren. Im
Ersten Weltkrieg war Ewald Huth wegen eines Sehfehlers untauglich, er meldete
sich aber freiwillig für den Sanitätsdienst beim DRK. 1921 wurde er als
Chordirektor und Organist am Villinger Münster angestellt. Aus seiner Ablehnung
des NS-Regimes machte er bereits 1933 kein Hehl, 1944 wurde er schließlich von
Nachbarn denunziert. Die Anklage auf Wehrkraftzersetzung hätte ihm vor einem
bürgerlichen Gericht eine Gefängnisstrafe eingetragen. Allerdings war er 1943
im Alter von 53 Jahren zur Polizei eingezogen worden und unterstand damit dem
SS- und Polizeigericht in Stuttgart. Das Urteil selbst ist nicht erhalten, auch
nicht im Militärarchiv Freiburg. Wir haben aber die Passagen aus dem Urteil, die
Kroneisen in seinem Artikel zitiert: Ewald Huth habe „über Jahre hinweg in der
Öffentlichkeit den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung
gelähmt und zersetzt und weiter: Der Angeklagte ist in geradezu
verbrecherischer Weise kirchenhörig, kurz eine schwarze Wühlmaus“. (4)
Bei seinen Mitgefangenen stand „Papa Huth“, wie er genannt wurde, in hohen Ansehen, wie ein Brief an Maria Huth zeigt:
„Papa Huth wird mir und allen, die jene
schreckliche Zeit überlebt haben, unvergesslich sein. Wir hatten alle wirklich
etwas auf dem Kerbholz, so dass man jedem von uns sagen musste, irgendwie hast
du das verdient. Papa Huth hatte jedoch nichts angestellt, nur seine Meinung
gesagt. Als wir ihn beten sahen, da haben wir zuerst spöttisch gelächelt. Mehr
und mehr ging uns jedoch auf, dass für ihn Gott wie eine Wirklichkeit war. Uns
hat er dabei nie übersehen, hat uns stets Mut gemacht und zugeredet … Das
letzte Stück Brot hat er weggegeben, wenn einer von uns jüngeren Hunger hatte.
Er war uns wie eine Sonne in jenen dunklen Tagen. Nie habe ich einen solch
überzeugten Christen kennengelernt wie ihn.“(5)
In einem Abschiedsbrief an die Familie vor der Hinrichtung bestätigt er dieses Urteil.
„L[eonberg], 31. X. 1944 Meine Teuren! Und noch eine Bitte: Betet für unsere Feinde und tragt nicht Groll im Herzen. Der liebe Gott mag ihnen allen gnädig sein, so wie er mir selbst gnädig sein mag, das ist mein Wunsch und Gebet für sie schon immer gewesen und auch heute im Angesicht des Todes, den sie mir geben. Gott befohlen Euer treuer Vater“ (6)
Am 26. Mai 1944 war Ewald Huth vom SS- und Polizeigericht XI
in Stuttgart zum Tod verurteilt worden, das Urteil wurde in der Wannenstraße 16 gesprochen. Am 1. November 1944 um 7.10 Uhr wurde
er im Maschinengewehrstand auf der Dornhalde hingerichtet.(7) Beigesetzt wurde er auf dem Steinhalden-Friedhof in Stuttgart. Die Familie
beantragte sofort nach Kriegsende die Umbettung nach Villingen. Über den
abenteuerlichen Ablauf der Überführung des Leichnams nach Villingen haben wir
nur den Bericht von August Kroneisen (8) als Quelle. Im Friedhofsamt Stuttgart gibt es zwar eine Mappe zu Ewald Huth,
allerdings ohne Inhalt. Als endlich die Genehmigung zur Überführung nach
Villingen vorlag, reiste Kroneisen am 17. Juli 1946 mit einem Villingen
Bestatter nach Stuttgart. Dort stellte sich heraus, dass die Leiche von Ewald
Huth mit der eines belgischen Barons Jacques Donny verwechselt worden war. So
war Huths Leichnam 1945 nach Brüssel überführt und dort in einem Mausoleum
beigesetzt worden. Die Rückführung war kompliziert, wie Kroneisen berichtet:
In seinem Grab ist seit 1986 auch seine Frau Maria
beigesetzt. Die Stadt Villingen bewahrt Ewald Huth ein ehrendes Gedenken. 1972
wurde eine Straße nach ihm benannt, die Münsterpfarrei nannte einen Saal im
Gemeindezentrum in „Ewald Huth-Saal“ um. (10)
Am Kaplaneihaus der Münsterpfarrei wurde 2001 eine
Gedenktafel angebracht. Sein Grab wird von der Gemeinde als Ehrengrab gepflegt.(11)
Grab Ewald Huth |
(1) Colli. Kroneisen [2003], S. 70
(2) A. a. O., S. 70
(3) Colli. Kroneisen [2003]
(4) Colli. Kroneisen [2003], S. 68
(5) Brief eines Zellengenossen von Ewald Huth, zitiert nach Colli. Kroneisen
[2003], S. 68
(6) Zitiert nach Colli. Kroneisen [2003], S. 69
(7) Colli. Kroneisen [2003], S. 69 und Sterbeurkunde im StAS
(8) Colli. Kroneisen [2003], S. 69
(9) A. a. O., S. 69
(10) A. a. O., S. 70
(11) Auskunft Friedhofsamt Villingen-Schwenningen
Beim Gedenken an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 2021 liegt dieses Jahr der "Fokus auf die Zeugen Jehovas, die verfolgt wurden aufgrund ihres Glaubens, ihres Gewissens und der daraus folgenden Weigerung, das NS-Regime zu unterstützen". Gedenken dieses Jahr nicht im Landtag, sondern virtuell.
Gustav Stange wurde am 24. Oktober 1903 in Oppenweiler im Kreis Backnang geboren. Er wohnte in Stuttgart-Stammheim als er zum Ersatz-Bataillon 5 der Landes-Schützen als Wehrpflichtiger eingezogen wurde. Als Zeuge Jehovas weigerte er sich, dem Stellungsbefehl nachzukommen. Am 20. Januar 1942 wurde er wegen Wehrkraftzersetzung vom Gericht der Division z. b. V. 405 zum Tod verurteilt und am 20. Februar 1942 um 8:41 Uhr auf dem MG-Schießstand Dornhalde hingerichtet. Der Initiator der Stolperstein-Initiative, Gunter Demnig, hat 2007 in der Münchingerstraße 5 in Stammheim eine Gedenkplakette verlegt.
Sterbeurkunde:
Gustav Stange arbeitete in der Schuhreparaturwerkstätte von Rudolf Schlegel in der Böblinger Str. 103, wohnte aber in Stuttgart-Stammheim. Ein ehemaliger Nachbar erzählte damals: „Mein Vater hat noch versucht, ihn zu retten, [...]. Sie müssen doch nicht schießen, hat er gesagt. Aber Stange war innerlich so überzeugt von seinem Glauben, dass er die Folgen in Kauf nehmen wollte.“ Quelle
1933 lebten in Deutschland zwischen 20 000 und 30 000 „Bibelforscher“, wie sich die Zeugen Jehovas damals nannten. Etwa 1 200 von ihnen wurden in der NS-Zeit hingerichtet, 250 davon wegen Wehrdienstverweigerung durch Militärgerichte. (Vgl. Garbe, S. 500)
Der Fall von Gustav Stange ist mindestens seit 1989 öffentlich bekannt.
1989 wird Gustav Stange von Detlef Garbe in seiner Dissertation erwähnt, ebenso in der Ausstellung "Stuttgart im zweiten Weltkrieg", die vom 01.09.1989 bis 22.07.1990 im Tagblatt-Turm in Stuttgart stattfand. Im Katalog zur Ausstellung gibt es einen Artikel von Egon Zweigart, der das Schicksal von Gustav Stange darstellt.
Bei beiden Fällen spielt der Pfarrer in der Markus-Gemeinde in Stuttgart, Rudolf Dauer, eine wichtige Rolle als Quelle.
Quelle:
Sterberegister Stuttgart, 1942 Nr. 14.
www.stolpersteine-stuttgart.de (25.1.2021)
go-stuttgart.org Kurzbiographie mit Bild (25.1.2021)
Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium: Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich". 4. Auflage. Oldenburg 1999
Marlene P. Hiller (Hrsg.): Katalog zur Ausstellung „Stuttgart im Zweiten Weltkrieg“. Gerlingen 1989
Darin: Egon Zweigart: „Oder soll ich gar den Weg gehen, den Judas gegangen ist?“. Die Ernsten Bibelforscher im NS-Staat, S. 255-258